Schliessen
von Göler (Hrsg.) / Caspar Lücke / § 32
Versionen

§ 32 Mitgliederversammlung; Beschlussfassung

(1) Die Angelegenheiten des Vereins werden, soweit sie nicht von dem Vorstand oder einem anderen Vereinsorgan zu besorgen sind, durch Beschlussfassung in einer Versammlung der Mitglieder geordnet. Zur Gültigkeit des Beschlusses ist erforderlich, dass der Gegenstand bei der Berufung bezeichnet wird. Bei der Beschlussfassung entscheidet die Mehrheit der abgegebenen Stimmen.

(2) Bei der Berufung der Versammlung kann vorgesehen werden, dass Mitglieder auch ohne Anwesenheit am Versammlungsort im Wege der elektronischen Kommunikation an der Versammlung teilnehmen und andere Mitgliederrechte ausüben können (hybride Versammlung). Die Mitglieder können beschließen, dass künftige Versammlungen auch als virtuelle Versammlungen einberufen werden können, an der Mitglieder ohne Anwesenheit am Versammlungsort im Wege der elektronischen Kommunikation teilnehmen und ihre anderen Mitgliederrechte ausüben müssen. Wird eine hybride oder virtuelle Versammlung einberufen, so muss bei der Berufung auch angegeben werden, wie die Mitglieder ihre Rechte im Wege der elektronischen Kommunikation ausüben können.

(3) Auch ohne Versammlung der Mitglieder ist ein Beschluss gültig, wenn alle Mitglieder ihre Zustimmung zu dem Beschluss schriftlich erklären.

Für den Rechtsverkehr

(für Nichtjuristen)

zum Expertenteil (für Juristen)

Bedeutung für den Rechtsverkehr, häufige Anwendungsfälle

Mit dem durch das Gesetz zur Ermöglichung hybrider und virtueller Mitgliederversammlungen im Vereinsrecht vom 14.03.2023 neu eingefügten § 31 II BGB ermöglicht der Gesetzgeber nun auch dem Verein, die Mitgliederversammlung alternativ zu einer Präsenzversammlung in virtueller oder aber hybrider Form durchzuführen. Diese alternativen Versammlungsformate gelten sowohl für die Mitgliederversammlung des Idealvereins (§ 21 BGB), des wirtschaftlichen Vereins (§ 22 BGB) und analog auch für die Mitgliederversammlung des nicht eingetragenen Vereins (§ 54 BGB). Über die Verweisung in § 84b 1 BGB gilt § 32 II BGB für Stiftungsorgane entsprechend, wenn in der dortigen Satzung nicht Abweichendes geregelt ist.

Expertenhinweise

(für Juristen)

1) Allgemeines

1Die Mitgliederversammlung ist das oberste Vereinsorgan. Das lässt sich z.B. mit einem Verweis auf die §§ 27 I, 33 I 1 oder 41 BGB begründen. Dort ist bestimmt, das die Mitgliederversammlung den Vorstand bestellt, für einen Beschluss über die Änderung der Satzung zuständig ist und den Verein durch Beschluss auflösen kann.

2Auch wenn § 27 I bzw.

2) Definitionen

a) Verein

88Ein Verein ist ein Zusammenschluss mehrerer Personen, die einen gemeinsamen Zweck verfolgen.

b) Mitgliederversammlung

89Die Mitgliederversammlung ist das oberste Organ des Vereins.

c) Mitgliedschaft

90Die Mitgliedschaft ist ein höchstpersönliches, absolutes Recht. Die Mitgliedschaft kann durch natürliche und juristische Personen erworben werden und erfolgt durch den Beitritt zu dem Verein. Die Mitgliedschaft endet durch Tod, Austritt, Ausschluss oder Beendigung des Vereins.

d) Beschluss

91Ein Beschluss ist ein aus einzelnen gleichlautenden Willenserklärungen zusammengesetztes Rechtsgeschäft eigener Art. Ein Beschluss bindet im Gegensatz zu Verträgen auch Mitglieder, die nicht zugestimmt haben, die nicht in der beschlussfassenden Mitgliederversammlung anwesend waren oder sich der Stimme enthalten haben.

3) Abgrenzungen, Kasuistik

92§ 32 BGB gilt für alle Formen des Vereins, und damit für den wirtschaftlichen Verein, den nicht wirtschaftlichen Verein und den eingetragenen Verein. Inwieweit die Vorschrift auch auf die Stiftung anwendbar ist, hängt gemäß § 84b 1 BGB davon ab, dass die Satzung der Stiftung nichts Abweichendes regelt. Da es für die AG mit § 118a AktG und bei der eG mit § 43b GenG Spezialvorschriften zu Versammlungsformaten außerhalb der Präsenzversammlung gibt, dürfte eine entsprechende Anwendung ausscheiden.

4) Zusammenfassung der Rechtsprechung

93OLG Celle, Beschluss vom 28.08.2017 – 20 W 18/17; NJW-RR 2017, 1186
BayObLGZ 1985, 24 (29); OLG Hamm NJW-RR 1989, 1532 (1533)
BayObLGZ 1985, 29
OLGZ 1971, 480
OLG Naumburg, Urteil vom 23.02.1999 - 7 U (Hs) 25/98, NZG 2000, 44 (45)
NJW 1975, 1559 (1560)
BGH, Urteil vom 02.07.2007 - II ZR 111/05; NJW 2008, 69
BayObLG, Beschluss vom 21.02.1973 - 2 Z 3/73, BayObLGZ 1973, 68
LG Celle, Beschluss vom 23.08.2011 - 20 W 15/11, FGPrax 2012, 34
BeckOK BGB/Schöpflin, 67. Ed. 1.8.2023, BGB § 32 Rn. 16
LG Bremen, Beschluss vom 10.8.1988 - 2 T 365/88, BeckRS 1988, 2748
BGH, Urteil vom 11.11.1965 - II ZR 122/63, NJW 1966, 43
KG, Urteil vom 12.03.1957 - 2 U 2347/56, NJW 1957, 1680
OLG Brandenburg, Urteil vom 30.11.2022 - 7 U 193/21 (LG Potsdam),
BeckRS 2022, 39937
OLG Frankfurt, Beschluss vom 09.08.1982 - 20 W 403/82, OLGZ 1982, 418,
NJW 1983, 398
BayObLG, Beschluss vom 25.06.1987 - 2 Z 68/86, NJW-RR 1987, 1362;
LG Schleswig, Beschluss vom 06.04.1987 - 2 W 144/85, NJW-RR 1987, 1362.
KG Berlin, Beschluss vom 23.5.2020 - 22 W 61/19, ZStV 2021, 150
Oberlandesgericht Düsseldorf, Beschluss vom 09.02.2016, I – 3 Wx 4/16
BGH, Urteil vom 12.01.1987 - II ZR 152/86, NJW 1987, 2430
OLG München, Beschluss vom 29. 1. 2008 - 31 Wx 78, 81/07, NZG 2008, 351
OLG München, Urteil vom 18.02.1998 - 3 U 4897–97, NJW-RR 1998, 966
BGHZ 59, 369 [372]; NJW 1973, 235; NZG 2016, 1315 (1318)
BayObLGZ 1989, 298 (305)
NJW 1960, 1862
BGH, Urteil vom 09.11.1972 - II ZR 63/71, NJW 1973, 235
KG, Beschluss vom 13.05.1965 - 1 W 848/65, NJW 1965, 2157 (2159)
OLGZ 1984, 401
NJW 2008, 69 (72)
OLGZ 1971, 480 (482)
KG NJW 1988, 3159 (3160)
NJW 1966, 43
OLGZ 1984, 401 (404)
OLG Frankfurt, Beschluss vom 21.01.1972 - 20 W 85/72; OLGZ 1973, 137
NJW 2008, 69 (74)
BGH, Urteil vom 05.10.2021 - VI ZR 136/20

5) Literaturstimmen

94Sauter/Schweyer/Waldner, Der eingetragene Verein 21. Aufl. (2021)
Vielwerth, Die virtuelle Mitgliederversammlung – gekommen, um zu bleiben, npoR 2023, S. 191
Schwenn/Blacher, Virtuelle Mitgliederversammlungen und Gremiensitzungen von Vereinen und Stiftungen – ein Praxisleitfaden, npoR 2020, S. 154

6) Prozessuales

95Die Gültigkeit eines Beschlusses der Mitgliederversammlung kann von jedem Vereinsmitglied durch eine Feststellungsklage zur gerichtlichen Prüfung gestellt werden. Auch die Organe eines Vereines sind berechtigt, die Nichtigkeit von Mitgliederbeschlüssen geltend zu machen. Außerhalb des Vereins stehenden Dritten kommt diese Befugnis mangels eines anerkennenswerten Feststellungsinteresses jedoch nicht zu.NJW 2008, 69 (74)
Die Feststellungsklage bestimmt sich nach § 256 ZPO auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde.
Die Feststellungsklage ermöglicht eine frühzeitige verbindliche Klärung eines streitigen Rechtsverhältnisses. Die Feststellungsklage richtet sich hierbei ausschließlich auf die Feststellung des Leistungs- oder Gestaltungsrechts und ist nur dann zulässig, wenn der Kläger ein besonderes rechtliches Interesse an der baldigen Feststellung hat.

96Ein Feststellungsinteresse ist gegeben, wenn dem konkreten vom Feststellungsantrag betroffenen Recht des Klägers eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit droht und der erstrebte Feststellungausspruch geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen. Das Feststellungsinteresse fehlt grundsätzlich, wenn der Kläger dasselbe Ziel mit einer Klage auf Leistung erreichen kann. Es besteht jedoch keine allgemeine Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber der Leistungsklage. Vielmehr ist eine Feststellungsklage trotz der Möglichkeit, Leistungsklage zu erheben, zulässig, wenn die Durchführung des Feststellungsverfahrens unter dem Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit zu einer sinnvollen und sachgemäßen Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte führt.BGH, Urteil vom 05.10.2021 - VI ZR 136/20

7) Anmerkungen

97Die Zulassung der virtuellen und der hybriden Mitgliederversammlung auch beim Verein mit den neu eingeführten § 32 II BGB ist grundsätzlich zu begrüßen. Diese neuen Versammlungsformate könnten geeignet sein, das Interesse der Mitglieder an den Mitgliederversammlungen und damit die Teilnahmequoten zu erhöhen. Inwieweit durch diese Versammlungsformate die Kosten der Versammlungsdurchführung sinken, muss insbesondere vor dem Hintergrund der Frage, welche Plattform zur Durchführung der Mitgliederversammlung genutzt wird (z.B. Zoom oder ähnliche Lösungen), offenbleiben. Die Wahrung der Mitgliedsrechte, also die Sicherstellung, dass nur Mitglieder bzw. von diesen Bevollmächtigte teilnehmen, der freie Austausch und die Diskussion der Mitglieder mit- und untereinander und vor allem Geheimhaltung der Diskussion, der gefassten Beschlüsse und einer durchgeführten geheimen Abstimmung muss durch die ausgewählte Plattform gewährleistet werden. Können insbesondere Verstöße gegen die Mitgliedsrechte nicht ausgeschlossen werden, sollte vorsorglich am Format der Präsensversammlung festgehalten werden, um insbesondere die Anfechtbarkeit bzw. Nichtigkeit von gefassten Beschlüssen zu vermeiden.


Fußnoten