Schliessen
von Göler (Hrsg.) / Lennart Matzke, Christine Behrens / § 727
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§ 727 Ausschließung aus wichtigem Grund

Tritt in der Person eines Gesellschafters ein wichtiger Grund ein, kann er durch Beschluss der anderen Gesellschafter aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden. Ein wichtiger Grund liegt insbesondere vor, wenn der Gesellschafter eine ihm nach dem Gesellschaftsvertrag obliegende wesentliche Verpflichtung vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt hat oder wenn ihm die Erfüllung einer solchen Verpflichtung unmöglich wird. Dem Beschluss steht nicht entgegen, dass nach der Ausschließung nur ein Gesellschafter verbleibt.

Für den Rechtsverkehr

(für Nichtjuristen)

zum Expertenteil (für Juristen)

Bedeutung für den Rechtsverkehr, häufige Anwendungsfälle

1Seit geraumer Zeit wird eine Reform des Personengesellschaftsrechts, insbesondere das Recht der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) als notwendig erachtet. Der Gesetzgeber hat nun mit dem Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrecht (MoPeG) den Reformgedanken aufgegriffen und in Gesetzesform gebracht. Das MoPeG, beschlossen am 10.08.2021, bringt bedeutende Veränderungen mit sich und integriert teilweise schon länger in der Rechtsprechung und Literatur verbreitete Ansichten in das Gesetz.

2§ 727 BGB nF ersetzt zwar § 737 BGB aF, allerdings wird der Normzweck als solcher beibehalten. § 727 BGB nF bildet ein Verteidigungsrecht der Gesellschaft, um einen „störendenden“ Gesellschafter bei vorliegenden eines wichtigen Grundes auszuschließen.BeckOK BGB/Schöne, 68. Ed. 1.1.2024, BGBnF § 727 Rn. 2

3Das Vorliegen eines wichtigen Grundes ist nach den bereits bestehenden Maßstäben zu bemessen. Mit „wichtiger Grund“ ist ein Umstand in der Person eines Gesellschafters gemeint, der die Fortsetzung der Gesellschaft mit ihm unzumutbar macht. Dabei sind einige Konstellationen denkbar, wie die vorsätzliche oder grobfahrlässige Verletzung einer wesentlichen Vertragspflicht. Auch objektive Gründe, wie eine längere Unfähigkeit der Wahrnehmung von Gesellschafterrechten können ausreichen, wenn diese zur Unmöglichkeit der Erfüllung von wesentlichen Vertragspflichten führen. Wichtig ist, dass das pflichtwidrige Verhalten einen Bezug zur Gesellschaft haben muss.MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 5; BeckOK BGB/Schöne, BGBnF § 727 Rn. 4; Servatius BGB § 711 Rn. 11, 12

4Trotz alledem ist die Bewertung des Vorliegens eines wichtigen Grundes stets eine Einzelfallabwägung und voll gerichtlich überprüfbar.MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 5, 12; BeckOK BGB/Schöne, BGBnF § 727 Rn. 5 Beispielsweise ist davon auszugehen, dass die Gesellschaft auch mit dem „Störer“ fortgesetzt werden kann, wenn bisheriges Fehlverhalten geduldet wurde oder die übrigen Gesellschafter ebenfalls pflichtwidrig gehandelt haben.Servatius BGB § 727 Rn. 15; MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 5 Ein Verschulden ist indes nicht zwingend notwendig.Servatius BGB § 727 Rn. 13; MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 5

5Die Beurteilung erfolgt aus der Sicht eines objektiven Dritten und zielt auf eine objektive Prognose ab. Eine solche Prognose soll aufzeigen, ob es geboten ist, dass der Gesellschafter weiterhin Gesellschafterrechte innehat.Servatius BGB § 727 Rn. 15 Bei der Beurteilung ist zu beachten, dass der Ausschluss eines Gesellschafters nur das letzte Mittel (ultima ratio) darstellt. Bei einem vorsätzlichen Verhalten ist der Ausschluss damit wahrscheinlicher, als bei einer grobfahrlässigen Pflichtverletzung, bei der es auf die objektive Schwere und seine Auswirkungen auf das Vertrauensverhältnis in der Gesellschaft ankommt.MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 6, 8; BeckOK BGB/Schöne, BGBnF § 727 Rn. 5

6Im Liquidationsstadium kommt ein Ausschluss hingegen nur in Betracht, wenn die Mitwirkung des „störenden“ Gesellschafters unzumutbar ist oder die Durchführung der Liquidation gefährdet.MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn.10; Servatius BGB § 727 Rn. 16

7Ebenfalls regelt die Neufassung, dass der Ausschluss eines „störenden“ Gesellschafters keine Fortsetzungsklausel mehr benötigt.MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 1; vgl. Servatius BGB § 727 Rn. 8

8Der Ausschluss erfolgt durch einstimmigen Gesellschaftsbeschluss oder durch gesellschaftsvertraglich vereinbarte Mehrheitsentscheidung. Dem Auszuschließenden steht dabei kein Stimmrecht zu. Der Beschluss wird durch Mitteilung an den Betroffenen wirksam, denn es bedarf des Zugangs.MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 14; Servatius BGB § 727 Rn. 17, 20 Dies entfällt, wenn der Auszuschließende bei der Beschlussfassung anwesend war. Ein Recht auf rechtliches Gehör kommt dem Betroffenen nicht zu.MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 15; Servatius BGB § 727 Rn. 17; andere Ansicht: BeckOK BGB/Schöne, BGBnF § 727 Rn. 8 Ebenfalls ist zu beachten, dass das gesamte Beschlussverfahren auf Rechtsmissbräuchlichkeit gerichtlich überprüfbar ist.Servatius BGB § 727 Rn. 18

Expertenhinweise

(für Juristen)

1) Allgemeines

a) Einleitung

9Durch die Neugestaltung des § 727 BGB erhalten die Gesellschafter das Recht, einen Gesellschafter auszuschließen, wenn in seiner Person ein wichtiger Grund für seinen Ausschluss aus der Gesellschaft liegt. Insofern ändert sich nichts an der aktuellen Rechtslage, da ein solcher Ausschluss zuvor auch schon nach § 737 BGB aF möglich war.MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 1; Servatius BGB § 727 Rn. 1; BeckOK BGB/Schöne,  BGBnF § 727 Rn. 1

10Die Beurteilung des Vorliegens eines wichtigen Grundes bleibt identisch. Zuvor war jedoch entweder eine im Gesellschaftsvertrag geregelte Fortsetzungsklausel erforderlich oder eine Kündigung der ganzen Gesellschaft (§ 723 BGB aF).MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 1; Servatius BGB § 727 Rn. 1; BeckOK BGB/Schöne,  BGBnF § 727 Rn. 3 Letztere Möglichkeit war umständlich und mit viel Aufwand verbunden, so dass die Neuregelung zu begrüßen ist. Der Gesetzgeber geht nunmehr von dem Grundsatz „Ausscheiden vor Auflösung“ aus.Begr. RegE, BT-Drucksache 19/27635, 174 Dies ist zu befürworten, da ohne Fortsetzungsklausel bei Vorliegen eines wichtigen Grundes nur die wirtschaftliche Zerschlagung der Gesellschaft verbliebe. Dies konnte wirtschaftspolitisch nicht nachhaltig gewollt sein. Die Neufassung entspricht zudem der Rechtslage bei der offenen Handelsgesellschaft (oHG) sowie bei der Kommanditgesellschaft (KG). Darüber hinaus wird deutlich, dass der Gesetzgeber nun den Gesellschaftsanteil als Inbegriff der Mitgliedschaftsrechte und -pflichten sieht.Servatius BGB § 711 Rn. 1; BGH Urteil v. 15.9.2020 – II ZR 20/19; MüKoHGB/Fleischer, 5. Aufl. 2022, HGB § 105 Rn. 457; vgl. § 711 BGB nF Verbleibt nur ein Gesellschafter in der Gesellschaft, erlischt die Gesellschaft jedoch, § 712a I 1 BGB nF. Einer Liquidation bedarf es nicht. Erklärt der verbleibende Gesellschafter einem „Störer” die Übernahme, so erlischt die Gesellschaft qua Gesetz gemäß § 712a I 2 BGB nF unter Universalsukzession. Es bedarf keiner Übernahmeerklärung bezüglich des Vermögensübergangs.MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 4; siehe auch MüKoBGB/Schäfer, BGB § 712a Rn. 2

11§ 727 BGB nF greift den Beschluss der übrigen Gesellschafter als Willensbildung auf. Zuvor wurde das Ausschließungsrecht als gemeinschaftliche Entschließung der Mitgesellschafter auf schuldrechtlicher Basis eingeordnet.Servatius BGB § 727 Rn. 2; siehe auch MüKoBGB/Schäfer, BGB § 714 Rn. 1 Die Willensbildung der Mitgesellschafter ist dabei nach § 714 BGB nF zu bemessen.Servatius BGB § 711 Rn. 2

12Weiter normiert § 723 III BGB nF, dass dem Betroffenen der Ausschluss mitgeteilt werden muss. Auch hat der Gesetzgeber kodifiziert, dass die Ausschließung des vorletzten Gesellschafters nun zulässig ist.Vgl. § 134 HGB nF; sowie § 140 I 2 HGB aF Der Ausschluss eines Gesellschafters bedarf der Anmeldung zur Eintragung in das Handelsregister, falls die GbR im Register eingetragen ist, § 707 III BGB nF.Servatius BGB § 727 Rn. 2; MüKoBGB/Schäfer, BGB § 707 Rn. 25, 26, 28 Eine Gestaltungsklage ist nicht mehr notwendig.MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 1; vgl. § 140 BGB aF (=> § 134 BGB nF); Servatius BGB § 727 Rn. 3; vgl. Begr. RegE, BT-Drucksache 19/27635, 170 Nicht vorgesehen ist in § 727 BGB nF eine spezielle Ausschließungsklage, da die Ausschließung durch den Beschluss wirksam wird.Servatius BGB § 727 Rn. 3, 6; Begr. RegE, BT-Drucksache 19/27635, 170

13Gleichzeitig bedeutet dies, dass die Klagelast und das Prozessrisiko vom Betroffenen zu tragen ist. Die übrigen Gesellschafter könnten zwar einen wichtigen Grund vorschieben, diese Regelung bleibt dennoch vorzugswürdig, da der Ausschluss nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes zustande kommen kann. Dieser ist gerichtlich überprüfbar und die übrigen Gesellschafter unterliegen Treuepflichten.Servatius BGB § 727 Rn. 3; vgl. MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 2; Begr. RegE, BT-Drucksache 19/27635, 170, 171

b) Anwendungsbereich

14Nach § 705 II Alt. 1 BGB nF gilt § 727 BGB nF für die rechtsfähige Außengesellschaft. Für die Innengesellschaft findet die Regelung über § 740c II BGB nF Anwendung, es bedarf jedoch einer ausdrücklichen Fortsetzungsklausel im Gesellschaftsvertrag.MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 3 Auch gilt § 727 BGB nF bei der nicht rechtsfähigen GbR nach § 705 II Alt. 2 BGB nF.Vgl. MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 3. Zuvor bereits bei der mehrgliedrigen Gesellschaft h.M.: Servatius BGB § 727 Rn. 8; MüKoBGB/Schäfer, 8. Aufl. 2020, BGB § 737 Rn. 6; BeckOK BGB/Schöne, 66. Ed. 1.5.2023, BGB § 737 Rn. 3

15Bei einer fehlerhaften Gesellschaft kann nach Bekanntwerden eines Mangels ein wichtiger Grund zur Kündigung der Gesellschaft selbst vorliegen (§ 731 BGB nF), allerdings kann es aufgrund der Subsidiarität der Auflösung geboten sein, die Ausschließung oder die Kündigung des Gesellschafters zu beschließen. Die übrigen Gesellschafter können den „störenden“ Gesellschafter auffordern, an der Heilung des Mangels mitzuwirken oder selbst zu kündigen. Falls beide Möglichkeiten fehlschlagen, kann dies den Ausschluss aus wichtigem Grund rechtfertigen. Bei zweigliedrigen Gesellschaften gilt dies ebenso, § 727 S.3 BGB nF.Servatius BGB § 727 Rn. 7, ebenso zur Problematik eines Vorzugs der Kündigung oder Ausschließung

16Bei der zweigliedrigen stillen Beteiligung ist § 727 BGB nF nicht einschlägig. Bei einer mehrgliedrigen stillen Beteiligung ergibt sich aber Raum für eine entsprechende Anwendung des § 727 BGB nF.Servatius BGB § 727 Rn. 9

17§ 727 BGB nF findet auch im Zeitraum der Liquidation einer Gesellschaft Anwendung. Aufgrund der Besonderheiten einer Liquidation sind die Anforderungen an einen Ausschluss höher anzusetzen, da die Gesellschaft vollbeendet werden soll. Ein Ausschluss während des Abwicklungszeitraums kommt in Betracht, wenn die Gründe, die in der Person des „Störers” liegen, eine Beteiligung des „Störers” unzumutbar machen oder zumindest die sachgemäße Durchführung der Abwicklung gefährdet ist.MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 10; Servatius BGB § 727 Rn. 10 (extensiver)

18Bei der KG und der oHG gilt ausschließlich § 134 HGB.Servatius BGB § 727 Rn. 10; vgl. BGH Urteil v. 04.04.1951 II ZR 10/50

c) Voraussetzungen der Ausschließung / Ausschließungsgrund

aa) Wichtiger Grund

19Notwendig sind solche, in der Person des Mitgesellschafters liegenden Gründe, die die Fortsetzung der Gesellschaft mit dem „Störer“ nicht mehr zumutbar machen.MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 5; Servatius BGB § 727 Rn. 12; BGH Urteil v. 31.03.2003 II ZR 8/01 Anknüpfungspunkte sind neben personenbedingten auch verhaltensbedingte Gründe, allerdings müssen die Gründe einen Bezug zum Gesellschafterverhältnis aufweisen,Servatius BGB § 727 Rn. 12, 13; MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 5; BeckOK BGB/Schöne, 66. Ed. 1.5.2023, BGB § 737 Rn. 7 weshalb private Umstände nur die Ausnahme bilden.Servatius BGB § 727 Rn. 13: BGH Urteil v. 30.11.1951 – II ZR 109/51; vgl. BGH Urteil v. 24.09.2013 – II ZR 216/11 Ein Verschulden, insbesondere i.S.v. § 276 II BGB, ist hierbei nicht notwendig;MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 5, Servatius BGB § 727 Rn. 13; BeckOK BGB/Schöne, 66. Ed. 1.5.2023, BGB § 737 Rn. 6  es handelt sich bei der Formulierung in § 727 S. 2 BGB nF um nicht abschließende Regelbeispiele. Bei einer vorsätzlichen Verletzung wesentlicher Verpflichtungen liegt regelmäßig ein Ausschließungsgrund vor, bei grob fahrlässigen Verletzungen bemisst sich die Bewertung an der objektiven Schwere der Verletzung und an den daraus entstehenden Auswirkungen auf das gesellschaftsinterne Vertrauensverhältnis.MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 6 Die Abwägung innerhalb einer Gesamtwürdigung der Unzumutbarkeit erfolgt dahingehend, ob das Gesellschaftsverhältnis mit der Beteiligung des „störenden” Gesellschafters aus der Sicht der übrigen Gesellschafter unzumutbar geworden ist.Servatius BGB § 727 Rn. 14; MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 5 Der Zeitpunkt des wichtigen Grunds kann auf der Basis eines einmaligen Verhaltens oder Ergebnisses beurteilt, aber auch durch mehrfaches oder dauerhaftes Verhalten begründet werden.Servatius BGB § 727 Rn. 15

20§ 727 S. 2 BGB nF formuliert lediglich subjektive Regelbeispiele. Jedoch sind freilich objektive Gründe denkbar, die in der Unmöglichkeit der Wahrnehmung von Mitgliedschaftsrechten- und pflichten münden.Servatius BGB § 727 Rn. 12; MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 5 Maßgebend sind eine entsprechende Schwere des wichtigen Grundes sowie eine Würdigung der Gesamtumstände.MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 5, Servatius BGB § 727 Rn. 14 Die Gesamtwürdigung ist vollumfänglich gerichtlich überprüfbar.Servatius BGB § 727 Rn. 14 Die Unzumutbarkeit einer Fortführung der Gesellschaft mit dem „Störer” erfolgt aus der ex-ante-Sicht, wobei die bisherige Duldung eines pflichtwidrigen Verhaltens die Zumutbarkeit indiziert.Servatius BGB § 727 Rn. 15; vgl. BGH Urteil v. 30.11.1951 II ZR 109/51 Falls sich auch die übrigen Mitgesellschafter ein Fehlverhalten zuschulden kommen lassen haben, ist ein Ausschluss nur möglich, wenn das Verschulden des Auszuschließenden, gegenüber dem der Mitgesellschafter überwiegt.MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 5; Servatius BGB § 727 Rn. 14; BeckOK BGB/Schöne, 66. Ed. 1.5.2023, BGB § 737 Rn. 9; BGH Urteil v. 31.03.2003 II ZR 8/01; vgl. BGH Urteil v. 30.11.1951 II ZR 109/51

21Bei der Beurteilung, ob die „Störung“ die Fortsetzung der Gesellschaftsmitgliedschaft unzumutbar macht, sind auch etwaige Abfindungsansprüche zu berücksichtigen.Servatius BGB § 727 Rn. 14 Der Abfindungsanspruch kann, wie § 728 I BGB nF. (Vorgänger war § 738 BGB aF.) regelt, entweder im Gesellschaftsvertrag verankert sein oder sich aus § 728 I BGB nF. ergeben. § 728 BGB nF kodifiziert, dass sich der Wert des Gesellschaftsanteils unmittelbar auf den Zeitpunkt des Ausscheidens bezieht. Zuvor ist von einer Wertbemessung bei einer hypothetischen Auflösung auszugehen.Servatius BGB § 728 Rn. 2

22Vor dem Beschluss eines Ausschlusses durch die übrigen Gesellschafter ist auf mildere Mittel zurückzugreifen. Bei verhaltensbedingten Pflichtverletzungen kann zuvor eine Abmahnung ausgesprochen werden (§ 314 II BGB), bei personenbedingten Pflichtverletzungen können mildere Mittel, wie die Entziehung der Vertretungsmacht oder der Geschäftsführerbefugnis, vorrangig sein.Servatius BGB § 727 Rn. 14; BeckOK BGB/Schöne, 66. Ed. 1.5.2023, BGB § 737 Rn. 10 Der Ausschluss eines „Störers“ bleibt Ultima Ratio.

23Das exzessive Inanspruchnehmen von Gesellschafterrechten begründet keinen wichtigen Grund, genauso wie das legitime Ausüben von Rechten, z.B. die Einreichung einer Ausschließungsklage.MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 6 Die rechtsmissbräuchliche Ausübung von Rechten kann als wichtiger Grund gewertet werden, wenn die Ausübung gegen Treue- und Rücksichtnahmepflichten verstößt.MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 6

24Eine Zurechnung von fremdem Verhalten ist zwar grundsätzlich möglich, die Abwägung unterliegt dann jedoch strengeren Maßstäben. Eine Zurechnung von Verhalten etwaiger Rechtsvorgänger scheidet regelmäßig aus.Servatius BGB § 727 Rn. 13; vgl. BeckOK BGB/Schöne, 66. Ed. 1.5.2023, BGB § 737 Rn. 8

25Eine Unzumutbarkeit kann dann auch vorliegen, wenn Drittinteressen durch den „Störer” nicht berücksichtigt werden. Dies ist insbesondere bei unternehmerischen Gesellschaften bürgerlichen Rechts (GbR) bedeutsam, da bei diesen ein höherer Bestandschutz zu gewährleisten ist.Servatius BGB § 727 Rn. 15

b) Dogmatik

26Der Ausschluss durch Gesellschafterbeschluss stellt den stärksten Eingriff dar. Zuvor müssen etwaige mildere Mittel ausgeschöpft worden sein, soweit diese notwendig waren/möglich gewesen wären. Die Anforderungen an einen wichtigen Grund sind in § 727 S. 1 BGB nF exemplarisch aufgelistet. Einerseits durch wesentliche Pflichtverletzung, andererseits durch Unmöglichkeit der Erfüllungsverpflichtung. Dabei dürfen keine schärferen Anforderungen als an die Auflösungskündigung gemäß § 731 BGB nF gestellt werden; andernfalls würde dies eine Schlechterstellung des Auszuschließenden bedeuten.MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 8 Dies gilt im Übrigen auch für die Austrittskündigung aus wichtigem Grund, § 725 II BGB nF. Wenn das eigene Fehlverhalten dasjenige der übrigen Mitgesellschafter überwiegt, muss sich der Kündigende auf § 731 BGB nF berufen.MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 9

27Der Gesetzeswortlaut ist wortgleicht mit der Kündigung der eigenen Mitgliedschaft nach § 725 II und § 731 BGB nF, weshalb eine Differenzierung der Anwendungsbereiche, insbesondere bei der mehrgliedrigen Gesellschaft, notwendig ist.

28Bezüglich § 727 BGB nF ist die Unzumutbarkeit aus der Sicht der übrigen Mitgesellschafter zu bewerten.Begr. RegE, BT-Drucksache 19/27635, 174 Bei § 725 II BGB nF ist hingegen die Sicht des Kündigenden zu würdigen.

29Für § 731 BGB nF gilt dies gleichermaßen, jedoch muss der Fortbestand der Gesellschaft dem Kündigenden unzumutbar sein.Servatius BGB § 727 Rn. 11 Bei einer zweigliedrigen Gesellschaft bedarf es aufgrund der Umstände einer Gesamtwürdigung.Servatius BGB § 727 Rn. 11

30Abzustellen ist auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung.Servatius BGB § 727 Rn. 11

d) Gesellschafterbeschluss

31Der Ausschluss eines „störenden” Gesellschafters ist nur durch Gesellschafterbeschluss möglich. Vorbehaltlich gesellschaftsvertraglicher Abweichungen müssen alle übrigen Gesellschafter ihre Zustimmung zum Ausschluss erteilen.Servatius BGB § 727 Rn. 17; MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 13; BeckOK BGB/Schöne, 66. Ed. 1.5.2023, BGB § 737 Rn. 15; Bei der OHG und KG gemäß § 134 HGB => Ausschließungsklage Bleiben Gesellschafter der Gesellschafterversammlung fern, müssen diese die Beschlussfassung gemäß § 184 BGB rückwirkend genehmigen, damit der Beschluss wirksam wird.BeckOK BGB/Schöne, 66. Ed. 1.5.2023, BGB § 737 Rn. 15 Der Beschluss entfaltet Wirksamkeit, sobald er dem Betroffenen zugeht und der wichtige Grund weiterhin vorliegt, § 723 S. 3 BGB nF.BeckOK BGB/Schöne, 66. Ed. 1.5.2023, BGB § 737 Rn. 17; Servatius BGB § 727 Rn. 20; MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 14 Es finden die allgemeinen Regelungen über den Zugang Anwendung.MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 14 Es bedarf keines Zugangs, wenn der auszuschließende Gesellschafter bei der Beschlussfassung anwesend ist. Eine Erklärung durch sämtliche Geschäftsführer ist nicht notwendig.MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 14 Falls nur der Ausschlussgrund als solcher beschlossen wurde, kann ein Überbringer des Beschlusses dem „Störer“ die Erklärung auch ohne Bevollmächtigung überreichen. Der „Störer” kann im Gegenzug die Mitteilung des Ausschlussgrundes verlangen.MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 14; BeckOK BGB/Schöne, 66. Ed. 1.5.2023, BGB § 737 Rn. 17 Falls ihm diese Auskunft verweigert wird, folgt hieraus keine Unwirksamkeit des Beschlusses.BeckOK BGB/Schöne, 66. Ed. 1.5.2023, BGB § 737 Rn. 17; Servatius BGB § 727 Rn. 20; MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 14 Der „störende“ Gesellschafter kann sich, insbesondere bei einer rechtsmissbräuchlichen Ausschließung, durch einstweilige Verfügung wehren.Servatius BGB § 727 Rn. 18, 19, 25

32Im Zuge des Beschlusses hat der betroffene „störende” Gesellschafter kein Stimmrecht.

33Bei einer zweigliedrigen Gesellschaft kann der Gesellschafter, welcher nicht treuwidrig gehandelt hat, selbst bei einer Beteiligung von 50% den „störenden” Gesellschafter wirksam ausschließen.Servatius BGB § 727 Rn. 17: BGH, Urteil v. 20.1.1986 – II ZR 73/85

34Wenn mehrere Gesellschafter ausgeschlossen werden sollen, ist eine Gesamtbetrachtung nur möglich, wenn der Kündigungsgrund bei allen „störenden” Gesellschaftern der gleiche ist.Servatius BGB § 727 Rn. 17

35Werden verschiedene Kündigungsgründe in einer Beschlussfassung sachwidrig zur Abstimmung aufgeführt, unterliegen die „störenden” Gesellschafter keinem Stimmenrechtsausschluss in Bezug auf die übrigen „störenden” Gesellschafter.Servatius BGB § 727 Rn. 17

36Eine vorherige Anhörung ist nicht erforderlich, da der wichtige Grund objektiv und gerichtlich überprüfbar ist.Servatius BGB § 727 Rn. 17; vgl. BGH Urteil v. 27.02.1954 – II ZR 17/53 Ein Teil der Literatur hält es für notwendig, dass der „Störer” ein Recht auf rechtliches Gehör erhält. Diese Ansicht stammt aus dem Vereinsrecht, welches wiederum der Vertragsautonomie und den Besonderheiten der richterlichen Nachprüfung von Vereinsmaßnahmen entspringt.Jauernig/Stürner, 18. Aufl. 2021, BGB §§ 736, 737 Rn. 9; MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 15; BeckOK BGB/Schöne, 66. Ed. 1.5.2023, BGB § 737 Rn. 16; Servatius BGB § 727 Rn. 17 Nach herrschender Meinung findet ein solches Recht auf rechtliches Gehör jedoch im Personengesellschaftsrecht keine Anwendung. Personengesellschaften sind, im Gegensatz zu Vereinen, ein deutlich engerer Verbund von Personen. Außerdem ist der Beschluss einer unbeschränkten richterlichen Nachprüfung zugänglich. Es besteht nach der herrschenden Meinung kein Erfordernis für eine Notwendigkeit auf Anhörung des „Störers“. Die herrschende Meinung räumt indes ein, dass, falls eine solche Anhörung nicht stattfindet, Schadensersatzansprüche wegen Treuepflichtverletzung begründet werden können.MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 15; BeckOK BGB/Schöne, 66. Ed. 1.5.2023, BGB § 737 Rn. 16 Ebenfalls ist zu berücksichtigen, dass der Betroffene ein Recht auf Teilnahme an der Gesellschafterversammlung hat. Hiermit verbunden sind auch das Rede- und Fragerecht zu der Tagesordnung. Andernfalls kann der Beschluss nicht wirksam gefasst werden.BeckOK BGB/Schöne, 66. Ed. 1.5.2023, BGB § 737 Rn. 16

37Für den Beschluss als solchen gelten die allgemeinen Regelungen (vgl. §§ 714, 709 III BGB nF). Die zweigliedrige Gesellschaft setzt eine Ausschlusserklärung, trotz fehlendem Gesellschafterbeschluss, gegenüber dem „Störer” voraus.Servatius BGB § 727 Rn. 18; OLG Hamm Urteil v. 08.06.1999 – 27 U 18/99

38Aufgrund ihrer großen Bedeutung für die Gesellschaft unterliegt der Ausschluss eines Gesellschafters einer intensiven Treuepflichtenkontrolle.Servatius BGB § 727 Rn. 18 Diese ist notwendig, um die Gefahr eines Missbrauchs des Ausschlusses durch die ausschließenden Gesellschafter zu vermeiden. Zur Bewertung ist insbesondere die subjektive Einstellung der übrigen Mitgesellschafter heranzuziehen, um einen eventuellen Rechtsmissbrauch festzustellen.Servatius BGB § 727 Rn. 18 Der (eventuelle) „Störer” kann sich gegen den Ausschluss durch einstweilige Verfügung wehren.OLG Karlsruhe Urteil v. 20.12.2018 – 7 U 149/18

39Bei mehrgliedrigen Gesellschaftern kann es eine Treuepflicht zur aktiven Teilnahme an der Beschlussfassung geben. Eine hieraus resultierenden Zustimmungspflicht ist jedoch nur unter hohen Anforderungen möglich.BeckOK BGB/Schöne, 66. Ed. 1.5.2023, BGB § 737 Rn. 15; Servatius BGB § 727 Rn. 19 Voraussetzung zur Zustimmungspflicht ist, dass die Ausschließung des „Störers“ zur weiteren gewollten Zweckverfolgung dringend geboten sowie dem zu Verpflichtenden die Zustimmungsverpflichtung auch zumutbar ist.Servatius BGB § 727 Rn. 19; BeckOK BGB/Schöne, 66. Ed. 1.5.2023, BGB § 737 Rn. 15; BGH Urteil v. 28.4.1975 – II ZR 16/73 Praktisch ist die Durchsetzbarkeit einer Zustimmungsverpflichtung schwierig, da der sich Weigernde auf seine Zustimmung verklagt werden müsste. Dies steht in Widerstreit mit der zeitlichen Verzögerung des legitimen Lösungsinteresses der Mehrheit.Servatius BGB § 727 Rn. 19; MüKoBGB/Schäfer, 8. Aufl. 2020, BGB § 705 Rn. 247 (248)

40Als Lösung wird angeführt, dass die treuwidrige Nichtzustimmung in eine Zustimmung umqualifiziert wird; die Zustimmung also fingiert wird.Servatius BGB § 727 Rn. 19; abweichende Ansicht für Grundlagenbeschlüsse: MüKoBGB/Schäfer, 8. Aufl. 2020, BGB § 705 Rn. 248 Da diese Problematik nicht abschließend geklärt ist, besteht ggf. die Möglichkeit, die treuwidrigen, sich nicht beteiligenden Gesellschafter selbst nach § 727 BGB nF auszuschließen.Servatius BGB § 727 Rn. 19

e) Abweichende Vereinbarung / Gestaltungsmöglichkeiten

aa) Grundlagen

41§ 727 BGB nF ist dispositiv, kann durch eine Auflösungsklausel nach § 723 I BGB nF abbedungen und durch § 725 II BGB nF ersetzt werden.MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 16 Die Auflösung kann somit die Ausschließung ersetzen. Eine Erschwerung oder ein Ausschluss der (Auflösungs-)Kündigung bei Vorhandensein eines wichtigen Grundes kommt nicht in Betracht, § 725 VI BGB nF bzw. § 731 II BGB nF; gesellschaftsvertragliche Abreden, die dem entgegenstehen, sind gem. § 134 BGB nichtig.MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 16; Servatius BGB § 727 Rn. 26

42Das Ausscheiden kann auch für das Eintreten sonstiger Gründe vorgesehen werden, sofern die materiellen Anforderungen an die Ausschließung eines Gesellschafters nicht unterlaufen werden; der Grund muss daher objektiv bestimmbar sein.MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 16

43Weitere nachteilige Vereinbarungen, den Kündigungsgrund oder das Kündigungsverfahren betreffend, sind unzulässig, insbesondere wenn einzelne Gesellschafter betroffen sind. Auch ist eine Beschränkung auf verhaltensbedingte Kündigungen unzulässig, genauso wie die Beschränkung auf Vorsatz bzw. strafrechtliche Verurteilungen.Servatius BGB § 727 Rn. 28; altes Recht: BeckOK BGB/Schöne, 66. Ed. 1.5.2023, BGB § 737 Rn. 22 Ebenfalls unzulässig ist die Einräumung eines Ermessensspielraumes oder eine Beurteilungsprärogative zugunsten der Mitgesellschafter.Servatius BGB § 727 Rn. 28

44Gestaltungsfreiheit liegt auch bezüglich der Ausschließungskompetenz vor. Dabei kann die interne Willensbildung innerhalb von §§ 708, 709 BGB nF modifiziert werden. Besondere Bedeutung erhält dies bei der Änderung des Abstimmungsprinzips von einem Einheitsprinzip in ein Mehrheitsprinzip.Servatius BGB § 727 Rn. 29; MüKoBGB/Schäfer, 8. Aufl. 2020, BGB § 737 Rn. 13; BeckOK BGB/Schöne, 66. Ed. 1.5.2023, BGB § 737 Rn. 36 Ein Stimmrechtsausschluss ist dabei nicht abdingbar, da dies struktureller Bestandteil des Gesellschaftsprinzip ist.Servatius BGB § 727 Rn. 29

45Nicht möglich ist der automatische Ausschluss bei Vorliegen eines wichtigen Grundes, da dies eine zu hohe Rechtsunsicherheit in sich birgt. Eine Ausnahme hiervon ist denkbar, wenn die Grenzen klar umschrieben sind. Falls der betroffene Gesellschafter gutgläubig ist, ist dieser in Bezug auf den Fortbestand seiner Geschäftsführungsbefugnis und Vertretungsmacht schützenswert.Servatius BGB § 727 Rn. 29, 41

46Eine Erleichterung ist grundsätzlich zulässig. Praktisch relevant ist die Hinauskündigungsklausel.

bb) Hinauskündigungsklausel

47Die praxisrelevanteste Möglichkeit eines erleichterten Ausschlusses ist die Hinauskündigungsklausel. Diese ermöglicht es bestimmten Gesellschaftern, Mitgesellschaftern unter erleichterten Bedingungen zu kündigen. 

48Ab Mitte der 1970er Jahre hat sich der BGH zu den Grenzen von Hinauskündigungsklauseln geäußert. Entstanden sind Voraussetzungen für die mögliche Wirksamkeit von Hinauskündigungsklauseln. Erforderlich ist, dass klare und eindeutige Regelungen im Gesellschaftsvertrag niedergeschrieben sind (formelle Legitimationsgrundlage); zudem bedarf es der Fixierung sachlich gerechtfertigter Gründe gegen den betroffenen Mitgesellschafter sowie der Darlegung der Kündigungsvoraussetzungen.Servatius BGB § 727 Rn. 36, 38; MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 17; vgl. BeckOK BGB/Schöne, 66. Ed. 1.5.2023, BGB § 737 Rn. 23 - 35 Die Gesellschafter wissen demgemäß bei Eintritt in die Gesellschaft um die Möglichkeit der Hinauskündigung.Servatius BGB § 727 Rn. 37, 38 Sollen weitere Hinauskündigungsgründe hinzugefügt werden, bedarf es der Zustimmung aller Gesellschafter.Servatius BGB § 727 Rn. 37, 38 Fehlt es an den Voraussetzungen, so ist die Klausel nach § 138 BGB grundsätzlich nichtig. Ist die Klausel teilbar, kann der angemessene Teil nach § 139 BGB bestehen bleiben.MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 17

49Seit 2004 erleichtert der BGH die Begründung eines sachlich gerechtfertigten Grundes. Dies wird in der Literatur teils kritisch gesehen, da so die Möglichkeit einzelner Gesellschafter, andere Gesellschafter hinauszukündigen, erleichtert wird. Aus dieser Problematik heraus hat der Senat die Möglichkeit einer Hinauskündigungsklausel in der GmbH bei sogenannten „Manager-/Mitarbeiterbeteiligungsmodellen“ oder einer zeitlich begrenzten Probezeit bejaht.MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 17, 18

50In der Literatur gab es jedoch deutlichen Widerspruch gegen die Linie des BGH. Hierbei wird insbesondere angeführt, dass die Rechtsprechung zu erheblichen Unsicherheiten für die Vertragsgestaltung führe.MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 18; Stellungnahme v. Schäfer -> MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 19

(1) Sachlich gerechtfertigte Gründe

51Sachlich gerechtfertigte Gründe für die Hinauskündigung sind nicht abschließend geregelt. Beispiele sind Gründe der Entstehungsgeschichte, Kleinstbeteiligungen (bis 5%), die Art des Anteilserwerbs sowie der Tod eines Gesellschafters, wenn das Ausschließungsrecht eine zeitliche Begrenzung gegenüber den Erben des Gesellschafters enthält.MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 20 Der BGH verfährt bei der Auslegung der Angemessenheit immer großzügiger, was auf deutliche Kritik stößt (siehe oben).

(2) Ausübungskontrolle

52Bei der Betrachtung ist auf den aktuellen Zeitpunkt abzustellen.Servatius BGB § 727 Rn. 38, 40  Nach neuer Rechtsprechung des BGH erfolgt die Bewertung der Ausübung als „zweite Stufe“ bzw. „materielle Legitimation der Gestaltungsmacht“ auf Grundlage der Treuepflichtbindung der Ausschließungsberechtigten.Servatius BGB § 727 Rn. 40; BGH Urteil v. 15.01.2007 – II ZR 245/05; BGH Urteil v. 24.11.2008 – II ZR 116/08

53Eine Prüfung findet sodann hinsichtlich einer eventuellen Rechtsmissbräuchlichkeit statt. Nicht rechtsmissbräuchlich ist eine zweckgerichtete Verwendung des Ausschließungsrechts. Rechtsmissbräuchlich kann die Ausübung der Hinauskündigungsklausel aber sein, wenn sich die Verwendung gegen die beachtenswerten Belange der Minderheit wendet.Servatius BGB § 727 Rn. 40

(3) Darlegungs- und Beweislast

54Die Mitgesellschafter tragen die Darlegungs- und Beweislast für die entsprechende Vereinbarung, die Beschlussvoraussetzungen, die Beschlussfassung sowie die Übermittlung an den betroffenen Gesellschafter.Servatius BGB § 727 Rn. 42

55Der betroffene Gesellschafter trägt hingegen die Darlegungs- und Beweislast für etwaiges treuwidriges Verhalten der Mitgesellschafter.Servatius BGB § 727 Rn. 42; BGH Urteil v. 15.01.2007 – II ZR 245/05

56Für eine Ungleichbehandlung der Mitgesellschafter gegenüber dem betroffenen Gesellschafter trägt letzterer die Darlegungs- und Beweislast. Für eine entsprechende Rechtfertigung sind wiederum die Mitgesellschafter in der Verantwortung.Servatius BGB § 727 Rn. 42

(4) Anteilsschenkung unter freiem Widerrufsvorbehalt

57Problematisch sind Schenkungen von Gesellschaftsanteilen unter freiem Widerrufsvorbehalt. Durch die Möglichkeit des Schenkers, jederzeit den Gesellschaftsanteil wieder an sich zu ziehen, kommt es dem Prinzip einer Hinauskündigung gegenüber dem Beschenkten sehr nahe.MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 21 Für die Wirksamkeit eines solchen Rechts spricht die dogmatische Trennung von Gesellschafts- und Schenkungsrecht, sogar nach Vollzug der Schenkung.BGH Urteil v. 02.07.1990 – II ZR 243/89  Dagegen spricht die identische Folge.MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 21

58Vorzugswürdig ist daher folgende Lösung: Zum einen soll die Schenkung eines Gesellschaftsanteils grundsätzlich möglich sein, zum anderen soll der Widerruf der Schenkung einer Ausübungskontrolle unterworfen werden.MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 22

59Zu differenzieren ist ebenfalls nach den Rechtsfolgen von Schenkungswiderruf und dem Ausschließungsrecht, da der Beschenkte, im Gegensatz zum ausgeschlossenen Gesellschafter, den Gesellschafteranteil ohne Abfindung rückübertragen muss.MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 22

f) Rechtsfolgen des Ausschlusses

aa) Ausscheiden des Gesellschafters

60Durch den Ausschluss verliert der betroffene Gesellschafter zum Zeitpunkt des Zugangs der Ausschlussmitteilung seine Gesellschafterstellung.Servatius BGB § 727 Rn. 21 Unabhängig von dem Ausschluss bleibt die Bewertung von etwa unangemessenen Abfindungsansprüchen des betroffenen Gesellschafters.Servatius BGB § 727 Rn. 21 Auch ein anhängiger Rechtsstreit über die Ausschließung steht der Wirksamkeit des Ausschlusses nicht entgegen, da der Ausschließungsgrund und die Beschlussfassung vollumfänglich gerichtlich überprüfbar sind.Servatius BGB § 727 Rn. 21, 22; OLG Karlsruhe Beschluss v. 14.05.1996 – 11 Wx 86/95

61Der Gesellschaftsanteil geht mit Ausschluss des ehemaligen Gesellschafters unter. Das Vermögen bleibt unverändert, weil der Ausschluss keine unmittelbare vermögensrechtliche Auswirkung hat, § 713 BGB nF.Vgl. auch Begr. RegE, BT-Drucksache 19/27635, 105 Lediglich der Anteil an der Gesellschaft wächst jedem Gesellschafter verhältnismäßig an, § 712 BGB nF.

62Das Ausscheiden des betroffenen Gesellschafters ist gemäß § 707 III 2 BGB nF bei dem Gesellschaftsregister zur Eintragung anzumelden, sofern die Gesellschaft eingetragen ist. Eine Grundbuchänderung ist ebenso bei der eingetragenen GbR erforderlich.Servatius BGB § 727 Rn. 21

63Die weiteren Folgen, wie Verlusterstattungspflichten und Abfindungsansprüche sowie Gesellschafter(nach)haftung bestimmen sich nach den §§ 728 728b BGB nF.

bb) Abwicklung der Gesellschaft

64Durch den Gesellschaftsvertrag kann geregelt werden, dass durch die Ausschließung eines Gesellschafters die ganze Gesellschaft aufgelöst werden soll, entweder durch Kündigung der Gesellschaft gem. § 729 I Nr. 3 BGB nF oder durch Auflösung gem.  § 729 I Nr. 4 BGB nF. Beide Möglichkeiten sind zur Eintragung ins Gesellschaftsregister anzumelden, § 733 I BGB nF. In diesen Fällen kommt es nicht zu einem Ausscheiden des betroffenen Gesellschafters, sondern zur Liquidation der Gesellschaft. Innerhalb dieser Phase verbleibt der zuvor betroffene Gesellschafter in seiner Position als Gesellschafter. Am Ende der Liquidation erhält er statt einer Abfindung einen Anteil am Liquidationserlös, § 736 VI BGB nF.Servatius BGB § 727 Rn. 23 Da der Auszuschließende nicht zwingend in Kenntnis der Liquidation gesetzt werden muss, ist der gutgläubig Ausgeschlossene bezüglich des Fortbestands von Geschäftsführungskompetenz und Vertretungsmacht schützenswert, § 736b II BGB nF.Servatius BGB § 727 Rn. 23

cc) Rechtsschutz

65Anders als bei der KG und bei der oHG gibt es bei der GbR keine Ausschließungsklage. Der betroffene Gesellschafter muss selbst im Wege der Feststellungsklage nach § 256 I ZPO tätig werden.Servatius BGB § 727 Rn. 25 Zwar muss der klagende Gesellschafter die Beweislast für die Zulässigkeit und Begründetheit der Klage als solche tragen. Die Beweislast für die wirksamen Beschlussfassung und damit den wirksamen Ausschluss tragen jedoch die übrigen Gesellschafter.Servatius BGB § 727 Rn. 25 (siehe auch Rn. 54)

66Die Beschlussfassung ist vollumfänglich gerichtlich überprüfbar.Servatius BGB § 727 Rn. 25; MüKoBGB/Schäfer, BGB § 727 Rn. 12; BGH Urteil v. 01.03.2011 - II ZR 83/09

67Stellt sich heraus, dass der Ausschluss des betroffenen Gesellschafters unwirksam war und dass sich die übrigen Gesellschafter (hierdurch) treuwidrig verhalten haben, kann dies einen Schadensersatzanspruch gem. § 280 BGB begründen. Ausgeschlossen von der Haftung sind jene Gesellschafter, die am Beschluss nicht aktiv beteiligt waren.Servatius BGB § 727 Rn. 25

68Fahrlässiges Verhalten sollte bei unklarer Tatsachen- oder Rechtslage nur zurückhaltend bejaht werden.Servatius BGB § 727 Rn. 25 

69Der betroffene Gesellschafter kann sich mit einer einstweiligen Verfügung wehren, §§ 935, 950 ZPO. Diese Möglichkeit steht jedoch nur dem betroffenen Gesellschafter zu. Ein Ausschluss selbst ist innerhalb des einstweiligen Rechtsschutzes nicht möglich.Servatius BGB § 727 Rn. 25

 

2) Abgrenzungen, Kasuistik

70Zu der Abgrenzung von § 727 BGB nF zu § 725 II BGB nF und § 731 BGB nF siehe oben.

71§ 727 BGB nF ist lex specialis gegenüber § 314 BGB.

3) Zusammenfassung der Rechtsprechung

BGH, Urteil v. 15.9.2020 – II ZR 20/19

BGH, Urteil v. 04.04.1951 - II ZR 10/50

BGH, Urteil v. 31.03.2003 - II ZR 8/01

BGH, Urteil v. 24.09.2013 - II ZR 216/11

BGH, Urteil v. 30.11.1951 - II ZR 109/51

OLG Hamm, Urteil v. 08.06.1999 – 27 U 18/99

BGH, Urteil v. 27.02.1954 – II ZR 17/53

OLG Karlsruhe, Urteil v. 20.12.2018 – 7 U 149/18

BGH, Urteil v. 15.01.2007 – II ZR 245/05

BGH, Urteil v. 24.11.2008 – II ZR 116/08

BGH, Urteil v. 28.4.1975 – II ZR 16/73

BGH, Urteil v. 15.01.2007 – II ZR 245/05

BGH, Urteil v. 02.07.1990 – II ZR 243/89

OLG Karlsruhe, Beschluss v. 14.05.1996 – 11 Wx 86/95

BGH, Urteil v. 01.03.2011 - II ZR 83/09

4) Literaturstimmen

Prof. Dr. Servatius, Wolfgang, in: Kommentar zur Bürgerlichen Gesellschaft, Dr. Wolfgang Servatius (Hrsg.), 1. Aufl. 2023, (zitiert: Servatius GbR/Servatius).

Dr. Schäfer, Carsten, in: Kommentar zur Gesellschaft bürgerlichen Rechts und Partnergesellschaft, Dr. Carsten Schäfer (Hrsg.), Dr. Dr. h.c. mult. Peter Ulmer (Hrsg.), Sonderausgabe aus Band 7 des Kommentars zum Bürgerlichen Gesetzbuch der 9. Auflage, 9. Auflage, München 2023, (zitiert: MüKoBGB/Schäfer).

Dr. Schäfer, Carsten, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Dr. Dr. Dres. h.c. Franz. Jürgen Säcker (Hrsg.), Dr. Roland Rixecker (Hrsg.), Dr. Hartmut Oetker (Hrsg.), Bettina Limperg (Hrsg.), Band 7, 8. Aufl., München 2022, (zitiert: MüKoBGB/Schäfer, 8. Aufl. 2020).

Dr. Dr. h.c. Holger Fleischer, LL.M. (Univ. of Michigan), Dipl.-Kfm., in: Münchener Kommentar zum Handelsgesetzbuch, Dr. Ingo Dreschner (Hrsg.), Dr. Dr. h.c. Holger Fleischer, LL.M. (Univ. of Michigan), Dipl.-Kfm. (Hrsg.), Dr. Dr. h. c. mult. Karsten Schmidt (Hrsg.), Band 2, 5. Aufl., München 2022, (zitiert: MüKoHGB/Fleischer, 5. Aufl. 2022).

Dr. Schöne, Thorsten, in: Beck´sche Online-Kommentare BGB, Dr. Wolfgang Hau (Hrsg.), Dr. Roman Poseck (Hrsg.), 66. Edition, München, (zitiert: BeckOK BGB/Schöne, 66. Ed. 1.5.2023).

Prof. Dr. Dres. h.c. Stürner, Rolf, in: Jauernig Bürgerliches Gesetzbuch, Prof. Dr. Dres. h.c. Rolf Stürner (Hrsg.), Dr. Christian Berger (Bearb.), Dr. Christine Budzikiewicz (Bearb.), Dr. Hans-Peter Mansel (Bearb.), Dr. Astrid Stadler (Bearb.), Dr. Arndt Teichmann (Bearb.), 18. Aufl., München 2021, (zitiert: Jauernig/Stürner, 18. Aufl. 2021).

5) Prozessuales

72Zu den Beweis- und Darlegungslasten siehe oben.


Fußnoten